Ein Glücksfall für Deutschland und den Liberalismus
In der Reihe „Public History” der Friedrich-Naumann-Stiftung, einer Organisation, die durch politische Bildung den Gedanken des Liberalismus näherbringen will, gibt es viele Broschüren über bekannte Politiker wie Hans-Dietrich Genscher oder Hildegard Hamm-Brücher. Bis Ende letzten Jahres fehlte jedoch ein wichtiger Name: Theodor Heuss!
Prof. Dr. Anne C. Nagel, Historikerin an der Justus-Liebig-Universität Gießen, hat sich mit dem „Bürgerpräsidenten” Heuss und seinem Einsatz für die Freiheit in der ihm gewidmeten Broschüre beschäftigt und diese am Freitagabend den vielen interessierten Gästen im Bürgersaal des Rathauses Brackenheim vorgestellt, in Kooperation mit der Reinhold-Maier-Stiftung, dem Theodor-Heuss-Museum Brackenheim und dem Theodor-Heuss-Freundeskreis Baden-Württemberg.
„Wir sind zwischen Gestern und Morgen gestellt.” Unter diesen Worten von Heuss steht die Veranstaltung. Das Zitat geht aber noch weiter: „Das alte Deutschland liegt hinter uns - wir wollen es nicht schmähen…”
Ein Satz, der 75 Jahre nach der Wahl von Heuss zum ersten Bundespräsidenten, „einem Abenteuer mit ungewissem Ausgang”, so die Historikerin zu Beginn ihres Referats, durchaus auch heute zu Überlegungen anregt.
Es sei Heuss’ Verdienst gewesen, dass die Deutschen das neue Amt jedoch schnell akzeptierten. Wie die Liberalen überhaupt bei politischen Umbrüchen immer wieder eine Rolle spielten, auch bei den ersten freien Wahlen - und da vor allem im Südwesten Deutschlands.
In 775 Reden in zwei Amtszeiten habe Heuss den Menschen das Grundgesetz nahebringen und klarmachen wollen, dass Geschichte anknüpft an die guten Werte vor der Nazizeit. Er weiß, dass man Menschen mehr geben muss als ein stimmungsloses Unternehmen, um eine emotionale Bindung an den Staat zu schaffen, sich mit ihm zu identifizieren. Und so entwirft der künstlerisch begabte Präsident selbst das Bundesverdienstkreuz und das Silberne Lorbeerblatt, die höchste verliehene sportliche Auszeichnung.
Heuss scheut sich auch nicht, eigene Fehler einzugestehen: seine Zustimmung 1933 zum Ermächtigungsgesetz, dem Ende der demokratischen Gewaltenteilung. Er findet später auch deutliche Worte zur Judenvernichtung als „tiefster Verderbnis der Zeit”, von der man gewusst habe - was nicht alle gern hören. Eine Kollektivschuld lehnt er ab, bekennt sich aber zu einer Kollektivscham.
Bei allem bleibt er bürgernah und bescheiden. Der hintergründige Humor des Genussmenschen bringt die Leute, denen er eine Zukunft in Freiheit weist, zum Schmunzeln. „Er war ein Glücksfall für Deutschland und den Liberalismus.”
In angenehm lockerem Gespräch geht Prof. Dr. Ewald Grothe, Leiter des Archivs der Friedrich-Naumann-Stiftung, näher auf diverse Aspekte ein wie die liberale 1848er-Tradition, in die Heuss hineinwächst, auf seine Verbindung zu seinem Mentor Friedrich Naumann, den Gründer des Nationalsozialen Vereins. „Ein kongeniales Paar”, wie Nagel die beiden Männer beschreibt.
Auch das Ermächtigungsgesetz wird noch einmal angeschnitten, das von der kleinen liberalen Fraktion mitgetragen wird - in der Hoffnung auf ein auch in Zukunft geeintes Volk und nicht wie die am Ende zerstrittene Weimarer Republik, wenngleich Heuss Schlimmes ahnt und in seinem Buch „Hitlers Weg” deutliche Worte findet. Damals wie heute gelte: Demokratie muss wehrhaft sein!
Die gelungene Broschüre ist kostenlos erhältlich und kann auf der Website der Stiftung heruntergeladen werden.
Helga El-Kothany