Überwältigende Teilnehmerzahl bei der Jubiläumsstadtführung in Neipperg
Von gräflichen Maulbeerbäumen und einer emanzipierten Pfarrerstochter
Helga El-Kothany
Bei der zweiten Gesamtstadt-Jubiläumsführung am letzten Juli-Sonntag in Neipperg wird Adolf Monninger überrascht. Gut 120 Gäste finden sich auf dem Kelterplatz ein: viele Alt- und Neu-Neipperger sowie Interessierte aus sämtlichen Stadtteilen.
Nach der Begrüßung durch Dr. Roland Gläser nimmt Monninger die Teilnehmer mit in die Anfänge des Ortes und der Burg vor rund 1.000 Jahren.
Dass Neipperg schon immer mit seinen Herren eng verbunden ist, zeigt das Wappen: drei silberne Ringe auf rotem Grund, die auch die Grafen im Schilde führen.
Das Dörfchen wird 1285 zum ersten Mal urkundlich erwähnt, muss jedoch schon früher besiedelt sein. Der Beginn der Burg wird auf das Jahr 1120 datiert. Der 2020 verstorbene Hubert Graf von Neipperg bemerkt jedoch einst humorvoll gegenüber Monninger, dass seine Vorfahren die Burg wohl kaum selbst, mit eigenen Händen, erbaut hätten. Ein schlagendes Argument!
Vom Kelterplatz aus kann man im Mittelalter fast den gesamten umzäunten Ort überblicken. Alles ist eng zusammengebaut zwischen zwei Stadttoren auf der Höhe der Gasthäuser Traube und Rose.
Die Katharinenkirche mit dem auffallenden, gefälligen Helmturm bleibt seit der Reformation evangelisch, auch als das Haus Neipperg wegen seiner Verbindung zu den österreichischen Habsburgern Anfang des 18. Jahrhunderts wieder katholisch wird.
Die 1767 geborene Pfarrerstochter Wilhelmine Maisch, verheiratete Müller, gelangt gar zu literarischen Ehren. Sie veröffentlicht Gedichte und Geschichten, verkehrt im Stuttgarter Dichterkreis, kennt Hölderlin und fordert schon früh die Bildung von Mädchen und die Gleichberechtigung.
Daneben, seit 1984 das Gasthaus “Flämmle”, ist das Schul- und Rathaus - samt Gefängniszelle für Kurzinhaftierte.
Die Kelter ist ein imposanter Fachwerkbau mit fünf Kelterbäumen und bis zur Eingemeindung 1974 in Betrieb.
Beim Rundgang geht es am alten Backhaus vorbei, das immer noch von einem LandFrauen-Team benutzt und von Brackenheim unterhalten wird, bis zum Beginn der Weinberge, die durch die Realteilung bald viele Familie nicht mehr ernähren können. Viele Bewohner wandern daher aus nach Polen, Russland und in die Ukraine.
Die Kriege ziehen am idyllischen Örtchen vorbei. Die immer wieder umgebaute Burg wird nie eingenommen. Erst im Dreißigjährigen Krieg kommt es zu Verwüstungen.
Eine Besonderheit vor dem 1934 auf gräflichem Areal errichteten Schulhaus sind die Maulbeerbäume. Einst Ausgleichsmaßnahme für den Bau, sind sie heute ein Naturdenkmal. Daneben erhält der Ort 1992 eine Mehrzweckhalle, die ohne Eingemeindung nicht finanzierbar gewesen wäre.
Ebenfalls besonders ist die Städtepartnerschaft mit dem südfranzösischen Marsan, 1962, also noch vor dem Élysée-Vertrag, unter der Schirmherrschaft von Hubert Graf von Neipperg geschlossen. Und damit eine der ältesten Deutschlands.
Was es heute in dem 608-Seelen-Ort nicht mehr gibt, sind die vielen Gewerbe vom Bäcker bis zum Zaunmacher. Auch der Elbling, eine alte römische Rebsorte, wächst hier nicht mehr. Zurück kommt er als Moselwein - als Dankeschön von Dr. Gläser an Adolf Monninger.